die tageszeitung, 16.06.2003, Nr. 7079, Seite 18
Kein Pathos, keine Patina
von Reiner Braun

Den Akteuren gescheiterter Revolten bleibt allzu oft ein trauriges Los in den Chroniken der Geschichte beschieden. Bestenfalls zu runden Jahrestagen wird an ihr Handeln erinnert, auch wenn die Deutungshoheit vergangener Ereignisse längst von anderen beansprucht wird. Da macht im Land der Dichter und Denker der 17. Juni 1953 keine Ausnahme. Schon im Mai begann die ARD mit der öffentlich-rechtlichen Erinnerungsarbeit, bei der selbstredend mit Guido Knopp der Chefideologe des ZDF für düster-dräuende Zeitgeschichte nicht abseits stehen durfte.

Andreas Christoph Schmidt, einem der letzten couragierten Essayisten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen („Was war links?"), ist zumindest ansatzweise gelungen, den „17. Juni" gegen den Strich zu bürsten und filmisch von der Patina aus Pathos und Ideologie zu befreien. In dem Dokumentarfilm „Helden ohne Ruhm" klebt er mit seinem Koautor Artem Demenok nicht nur an den unmittelbaren Ereignissen, sondern blättert zurück in eine Vorgeschichte des 17. Juni, die spätestens mit Stalins Tod am 5. März 1953 begann. Gewissenhaft und kompetent haben Schmidt und Demenok Archive durchforstet, Werktätige von einst befragt und Neues entdeckt, was das Bild dieses Aufstandes und einer rat- und hilfslosen SED-Führung nicht korrigiert, aber abrundet und komplettiert.

Das fügt sich hier zu einem facettenreichen, informativen Blick auf einen Aufstand, der auch deshalb scheitern musste, weil in der politisch heiklen Situation des Kalten Krieges Führungspersönlichkeiten fehlten und der Westen dessen Erfolg in letzter Konsequenz nicht wollte. Schmidt und Demenok bewerten das kompilierte Material zurückhaltend, ihre Zeitzeugen sind aber stets mehr als bloße Stichwortgeber, die vorgefasste Meinungen illustrieren. Insofern bietet „Helden ohne Ruhm" einen interessanten Zugang zu einem deutsch-deutschen Thema, auf dessen Fortsetzung wir schon deshalb gespannt sein können, weil die Sichtweise der Adenauer-Republik auf diesen 17. Juni weiterhin unerzählt bleibt.


Stern TV-Magazin
Helden ohne Ruhm
Ein Film über Akteure mit Zivilcourage oder: Was sich am 17. Juni 1953 in der Provinz abspielte

Zunächst hat die ARD mit den TV-Dramen „Tage des Sturms" und „Zwei Tage Hoffnung" an den 17. Juni 1953 erinnert. Nun folgt mit „Helden ohne Ruhm" ein Dokumentarfilm, der gestern bereits bei Arte zu sehen war. Er schildert den Verlauf des Volksaufstands in chronologischen Reihenfolge - beginnend beim Streik der Bauarbeiter in der Stalinallee gegen die verordnete Normerhöhung. Die Unruhen in Ost-Berlin, die an dieser für das DDR-Prestige so wichtigen Baustelle ihren Anfang nahmen, wurden bereits in Doku-Drama „Der Aufstand" detailliert rekonstruiert, das beim ZDF ausgestrahlt wurde. Dies soll aber die einzige inhaltliche Überschneidung bleiben. Ansonsten geht der Film einen eigenen Weg. Er beschreibt, was sich in der Provinz abspielte. Der RIAS hatte die Bevölkerung der DDR dazu aufgefordert, dem Berliner Beispiel zu folgen und die Streikbewegung zu unterstützen. Schnell bildeten sich in Leipzig, Halle, Magdeburg und Bitterfeld Streikkomitees, die neben der Rücknahme der Normerhöhung auch Demokratie und freie Wahlen forderten. Teilweise wurden Rathäuser, Gefängnisse und andere öffentliche Gebäude gestürmt.

Die Autoren Artem Demenok und Andreas Christoph Schmidt fördern bei der Rekonstruktion der Ereignisse allerlei Interessantes zu Tage. Die Berichte der Zeitzeugen liefern ein lebendiges, bewegendes und vor allem differenziertes Bild. Da erzählt eine Frau aus Rathenow von den letzten Stunden des Polizisten und Denunzianten Hagedorn, der von der aufgebrachten Menge aufs Schwerste verprügelt und in die Havel geschmissen wurde. Fast zeitgleich konnte in Bitterfeld ein Parteifunktionär unbeschädigt den Pulk der Streikenden verlassen - man wollte friedlich demonstrieren, so die Streikleitung. Aufschlussreich ist auch die Geschichte einiger Bilddokumente. Anders als in Ost-Berlin gab es im Rest der DDR kaum westliche Journalisten, die hätten berichten können. So stammen die einzigen Aufnahmen aus Halle von einem Kameramann der DDR-Wochenschau. Sein Film wurde von der Stasi konfisziert und er als „westlicher Provokateur" zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. „Helden ohne Ruhm" will in erster Linie an die Menschen erinnern, die damals couragiert gegen den SED-Staat auf die Straße gegangen sind. Es sind bescheidene, sympathische Helden, die hier zu Wort kommen und vielfach durch Zufälle in den Strudel der Ereignisse gerissen wurden. (oh)

Westdeutsche Allgemeine, 16. Juni 2003
Eine Stimme den "Helden ohne Ruhm"
Sehenswerte Dokumentation zum 17. Juni - Heute im Arte-Programm, morgen Abend im Ersten
von Fritz Hermann Köser

In der DDR galten sie als Provokateure, der Westen verklärte sie als Patrioten - die Menschen, die am 17. Juni 1953 gegen die SED-Regierung aufbegehrten.

Wer sie wirklich waren und was sie damals bewegte, zeigt die sehr sehenswerte
Dokumentation "Helden ohne Ruhm" (Arte heute, 22.05 Uhr; ARD morgen 21.05 Uhr). Dort kommen sie zu Wort, die ehemaligen Bauarbeiter, Lehrlinge, Schüler oder Angestellten, die teils aus eigenem Antrieb handelten, teils aber auch von dem Strudel der Ereignisse mitgerissen wurden.

Die Regisseure Artem Demenok und Andreas Christoph Schmidt untermalen die spannenden Zeitzeugenberichte mit entsprechenden Filmsequenzen. Besonders erfreulich: Statt anzuklagen, argumentieren und erklären sie, statt Kalter-Krieg-Polemik bieten sie ungewöhnliche und völlig neue Perspektiven. So befürchteten ehemalige Sowjetoffiziere, die an der Niederschlagung beteiligt waren, dass der Aufstand auf andere Bruderländer bis hin zur UdSSR selber übergreifen könnte. Ihrer Ansicht nach war die Revolte vom Westen geplant - der testete, wie weit er nach Stalins Tod gehen konnte.

Damit erklären die Regisseure, warum der Aufstand keine Chance hatte. Gleichzeitig zerstören sie Klischees. So war die Erhebung nicht nur auf Ost-Berlin beschränkt. Tatsächlich griffen die Unruhen auf mehr als 500 Städte und Ortschaften der DDR über, wie neu aufgetauchtes Filmmaterial mit Aufnahmen vom 17. Juni in Leipzig zeigt. Zudem wird klar, dass die erhöhten Arbeitsnormen, die ja sofort zurückgenommen wurden, nur der Auslöser waren. Es ging um viel mehr, nämlich um die Beseitigung des Regimes. Dabei schlug der anfangs friedliche Protest in eine Orgie aus Gewalt und Plünderungen um. So erschlugen wütende Bürger in Rathenow den besonders verhassten Stasi-Mitarbeiter Wilhelm Hagedorn. Aufnahmen des zertrümmerten Schädels bleiben dem Zuschauer nicht erspart. Auch nicht die Schauprozesse, die die anfangs so Hoffnungsvollen oft für Jahre hinter Gitter brachten. Und schon gar nicht die daher rührende Verbitterung vieler dieser Helden ohne Ruhm.


Neue Osnabrücker Zeitung, 16. Juni 2003
Geschichte durch Geschichten
Von Klaus Grimberg

Helden ohne Ruhm - Arte 22.05 Uhr
Was war dieser 17. Juni eigentlich? Ein Streik? Ein Aufstand? Ein Putschversuch? Ein Dutzend Menschen versucht eine Antwort auf diese Frage - die einen zögerlich, die anderen ohne Umschweife. Ein Tag bekommt erste, unscharfe Konturen: So beginnt die Dokumentation ,,Helden ohne Ruhm. Der 17. Juni 1953" von Artem Demenok und Andreas Christoph Schmidt, die an diesem Montag ab 22.05 Uhr auf Arte und morgen ab 21.05 Uhr im Ersten zu sehen ist.

Die beiden Autoren nähern sich der Geschichte durch Geschichten: Sie haben Zeitzeugen interviewt, die an den Demonstrationen und Streiks vor 50 Jahren beteiligt waren - auf der einen oder der anderen Seite. Ob Arbeiter und Angestellter, Lehrer oder Student, Volkspolizist oder Sowjet-Soldat: Sie alle schildern ihre persönlichen Erlebnisse. Es sind Momentaufnahmen eines Tages, der sich auch mit dem Abstand von 50 Jahren in kein historisches oder weltanschauliches Korsett zwängen lässt. Dafür verlief der ,,Volksaufstand" in der DDR zu uneinheitlich.

Die neunzigminütige Dokumentation widmet sich nicht allein den Ereignissen in Berlin-Ost, sondern geht ausführlich auch auf die Proteste in der Provinz ein. Was geschah in Bitterfeld, Halle und Magdeburg, in Jena, Görlitz und Rathenow? Bei ihrer akribischen Recherche sind die Filmemacher auf Schicksale gestoßen, die - abseits der Vorgänge in der Hauptstadt - für immer durch den 17. Juni geprägt wurden. Spürbar wird die Spontaneität der Geschehnisse: Wie ein Flächenbrand breitete sich der Protest in mehr als 500 Städte und Ortschaften aus. Soziale schlagen dabei rasch in politische Forderungen um - vor allem nach freien Wahlen.

Erstmals öffentlich gezeigt werden Bilder von den Vorgängen in Leipzig - der Film eines DEFA-Kameramanns lagerte Jahrzehnte auf einem Dachboden. Ähnlich erging es den Aufnahmen einer Fotografin aus Halle, die ebenfalls erst kürzlich wieder auftauchten. Bemerkenswert an diesen Dokumenten ist, dass die protestierenden Menschen selbstbewusst, ja fröhlich wirken: Lächelnde Gesichter, Frauen und Männer, die in die Kamera winken - es ist ein optimistischer, gewaltloser Aufmarsch, der sich aus allen Teilen der Bevölkerung zusammensetzte. ,,Wir wollten endlich unsere Meinung sagen", bringt es einer der Zeitzeugen auf den Punkt, ,,mehr nicht."

Der Film fügt verschiedenste Episoden zu einem Bild zusammen, über das der Zuschauer selbst urteilen kann. Einer Wertung enthalten sich die Autoren, die Zitate und Ausschnitte allerdings sprechen für sich.


Märkische Allgemeine Zeitung, 12.06.2003, Seite V6
Stunde der Namenlosen
„Helden ohne Ruhm" - eine Hommage an vergessene Rebellen
von Albrecht Thiemann

Manchmal schreibt der Zufall die eigentliche Geschichte. Was sich an Filmdokumenten über die Ereignisse des 17. Juni 1953 erhalten hat, wurde ausnahmslos in Berlin gedreht. Dachten wir. Bis sich kürzlich auf einem Dachboden im Hessischen ein 35-Millimeter-Streifen mit Bildern mit den Demonstrationen in Leipzig fand.

Fröhliche Gesichter ziehen da am Hauptbahnhof entlang, Tausende belagern das Bezirksgericht und Untersuchungsgefängnis in der Beethovenstraße. Eine junge Frau schwenkt ein hastig beschriebenes Pappschild, die Botschaft ist eindeutig: „Nieder mit der Regierung".

Das Material konnte nur gerettet werden, weil es von einem Kameramann stammt, der es - unbelichtet - in einem privaten Archiv verschwinden ließ. Nach seiner Pensionierung schmuggelte er es zu einem Freund in den Westen. Nach Jahrzehnten schaute der nun erstmals genauer an, was die Büchse barg. So kamen Artem Demenok und Andreas Christoph Schmidt, die Autoren der Dokumentation „Held ohne Ruhm" zu den bislang einzigen bewegten Bildern, die den Aufstand des 17. Juni jenseits der Kapitale zeigen. Ein eindrucksvoller Fund - wie die Fotos von Helga Müller, die damals zeitgleich durch Leipzig zog und auf den Auslöser drückte.

Demenok und Schmidt lassen die unbekannten, „stillen" Helden zu Wort kommen, die sich damals in der DDR-Provinz engagierten und später oft als „Rädelsführer" denunziert wurden. Von Leuten wie dem Rathenower NKWD-Spitzel Wilhelm Hagedorn etwa - der noch auf dem Sterbebett die Namen jener aufgebrachten Demonstranten genannt haben soll, die ihm am 17. Juni 1953 den Schädel einschlugen. Ein Racheakt, sagt Ursula Jautzke, die Tochter eines Hagedorn-Opfers. Für Erich Honecker indes war der Chef der politischen Polizei in Rathenow ein ehrenwerter Parteimann: Er organisierte einen Trauerzug für ihn, an dessen Spitze 300 bewaffnete Genossen marschierten. Doch das ist eine andere Geschichte. Artem Demenok und Andreas Christoph Schmidt geben in ihrem Film vor allem den namenlosen Rebellen des gegängelten DDR-Volkes einen Namen.

Abacho.de
(tsch)
Es ging nicht nur um die Erhöhung der Arbeitsnormen. Auf dem Spiel standen vielmehr Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Der 17. Juni 1953 ging als eine der wenigen demokratischen Massenbewegungen in die deutsche Geschichte ein. Was sich damals auf den Straßen in Ost-Berlin abspielte, ist durch die Aufnahmen westlicher Filmteams gut dokumentiert. Dass die Unruhen aber auch auf mehr als 500 Städte in der gesamten DDR übergriffen, wurde in bisherigen Filmen über den 17. Juni meist geflissentlich übergangen. Andreas Christoph Schmidt und Artem Demenok versuchen in ihrer ARTE-Dokumentation "Helden ohne Ruhm" (am Dienstag, 17.6., 21.05 Uhr auch in der ARD), diese Lücke in der öffentlichen Wahrnehmung zu schließen.

Ähnlich wie die beiden ARD-Spielfilme "Zwei Tage Hoffnung" und "Tage des Sturms", die in den vergangenen Wochen gezeigt wurden und die damaligen Ereignisse vor dem Hintergrund von Familiengeschichten erzählten, nähern sich die beiden Autoren dem Thema auf sehr persönliche Weise. Sie befragten über ein Dutzend Zeitzeugen - Bauarbeiter, Tischler, Lehrer, Polizisten und ehemalige Parteifunktionäre. Diese berichten über ihre Erfahrungen während dieser "Fünf Tage im Juni" (so der Titel eines Romans von Stefan Heym über den Aufstand). Schmidt und Demenok konnten für ihre Dokumentation auf bisher unveröffentlichtes Filmmaterial zurückgreifen. Zum ersten Mal überhaupt sind 35mm-Aufnahmen vom 17. Juni in Leipzig im Fernsehen zu sehen. Sie geben Auskunft über das Ausmaß der Proteste in der sächsischen Metropole, die 36 Jahre später zum Schauplatz der "Montagsdemonstrationen" werden sollte.

Der Film führt darüber hinaus eindringlich vor Augen, wie dicht die Welt in diesen Tagen vor der Katastrophe eines Dritten Weltkriegs stand. Während der amerikanische RIAS-Direktor Gordon Ewing seinem deutschen Chefredakteur - dem späteren Bundesminister Egon Bahr - ausdrücklich verbot, über das Radio den Generalstreik auszurufen, versuchte die SED, den Widerstand gegen das Regime als "faschistischen Putsch" zu denunzieren.

Sowjetische Panzer bereiteten der Rebellion schließlich ein blutiges Ende. Über 50 Aufständische bezahlten ihren Mut mit dem Leben. Drei ehemalige Offiziere der Roten Armee, die an Einsätzen in Magdeburg und Jena beteiligt waren, schildern vor laufenden Kameras erstmals ihre Sicht der Ereignisse. Auch sie plagten Skrupel, mit Waffengewalt gegen wehrlose Demonstranten vorgehen zu müssen.


Yahoo! Nachrichten
München (ots) - Zum Jahrestag, 50 Jahre nach dem Volksaufstand in der DDR, zeigt Das Erste die 90-minütige Dokumentation "Helden ohne Ruhm - Der 17. Juni 1953".

Der Film von Artem Demenok und Andreas Christoph Schmidt lässt Zeitzeugen mit bewegenden Schilderungen zu Wort kommen. Berichtet wird nicht nur von den Ereignissen in Berlin, sondern auch von den anderen Brennpunkten eines Geschehens, das sich über die ganze DDR ausbreitete:

"Hier kommt der Streikführer in Halle, Wilhelm Fiebelkorn, selbst zu Wort, schildert der Friseur aus Zodel den erfolgreichen Aufstand in seinem Heimatdorf, geben Rotarmisten überraschende Auskunft über ihre Einsätze. ‚Helden ohne Ruhm' zeigt Authentisches über die Tage um den 17. Juni 1953, berichtet davon, wie es den Leuten auf den Straßen bei diesem Volksaufstand zumute war, ob im Osten oder Westen Deutschlands. Der Zuschauer wird manches Unbekannte über dieses lange verkannte Geschichtsdatum erfahren, die Möglichkeit haben, sein Geschichtsbild emotional zu revidieren - Genugtuung für die Menschen im Osten und für die im Westen eine Gelegenheit, mit mehr Verständnis und Identifikation auf das Schicksal der Landsleute in der einstigen DDR zu blicken." Hans von Brescius, verantwortlicher Redakteur des federführenden Senders RBB.

© Schmidt & Paetzel Fernsehfilme, 2003